Les Chatouilles

Die kleine Odette träumt von einer Karriere als Tänzerin. Jahre später fühlt sich die wilde, aufbrausende junge Frau auf den Weltbühnen zuhause. So, wie sie es in ihrem eigenen Elternhaus nie war. Denn dort wurde sie jahrelang scheinbar unbemerkt von Gilbert missbraucht – einem engen Freund der Familie. Odette taucht mithilfe einer Therapeutin traumwandlerisch in die Abgründe ihrer Kindheit ein. Dadurch verschwimmen Fiktion und Realität zu surrealistischen Momenten, die trotz aller Entsetzen manchmal auch komisch wirken. Sie sind so wenig geordnet, wie es das Leben ist. Ohne sie wären die Szenen, in denen sich der unscheinbare, vermeintlich harmlose Familienvater Gilbert unverfroren und selbstverständlich in Odettes Nähe begibt, wohl nicht zu ertragen. Ohne sie hätte seine emotionale Erpressung durch Sätze wie: «Ich dachte, du magst das kleine Kitzeln auch?», um zu bekommen, was er will, eine noch schockierendere Wirkung. Ohne explizit etwas zu zeigen, zeigt der Film genug, wenn sich die Kinderzimmertür hinter den beiden schliesst und uns als Zuschauer ohnmächtig zurücklässt.

Dem Debütfilm der französischen Tänzerin Andréa Bescond, die hier auch die Hauptrolle spielt, liegt deren autobiografisches Theaterstück zugrunde und als solches muss man es auch erleben. Die unangenehme und ungewöhnliche Erzählweise ist mutig, kraftvoll und roh und geht, gerade deshalb, vielleicht tiefer als jeder konventionell erzählte Film über Missbrauch.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

«Les Chatouilles», Frankreich 2018, Regie: Andréa Bescond & Éric Métayer, Besetzung: Andréa Bescond, Karin Viard, Clovis Cornillac, Verleih: Praesens, http://www.praesens.com

Kinostart: 14. März 2019