Mug (Twarz)

Die Anfangsszene von «Twarz» ist ein Bild für die filmische Legendenschreibung. In einem polnischen Provinz-Supermarkt raufen sich nackte Menschen mit vollem Körpereinsatz um Schnäppchen-Flat-Screens, weil die Sonderangebote nur kleiderlos zu bekommen sind. Ein paar Orte weiter gipfelt dieser Wahn im Bau eines kolossalen Steinchristus, der das brasilianische Vorbild noch übertrumpfen soll. Diesem Grössenwahn geschuldet, ist ein Arbeitsunfall, der eben jenen entstellt, der sowieso schon als Freak galt. Den langhaarigen Jacek, der Heavy Metal liebt. Ihm werden die fünf Minuten Ruhm beschert, die das erzkatholische Dörfchen eigentlich ganz für sich beanspruchen wollte und sich in kleingeistigem Trotz nur noch mit einem ebenfalls sehr erinnerungswürdigen Exorzismus zu helfen weiss.

Die polnische Kuriositätenperle, die an der Berlinale 2018 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, wandelt fern aller Schubladen auf ihren eigenen Füssen. Trotz allem verdankt sie ihren Nährboden zwei wahrhaftigen Ereignissen, die hier wie selbstverständlich miteinander verknüpft wurden: Der Bau der Christus-Statue im westpolnischen Swiebodzin und die erste Gesichtstransplantation im Krankenhaus von Gliwice. Die gleichermassen kritische wie unterhaltsame Mischung spiegelt ein Land, indem der Glaube an das Altbekannte noch viel tiefer verwurzelt ist, als die Öffnung für das Neue und singt gleichzeitig ein Hohelied auf die Aussenseiter dieser Welt.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

«Mug» («Twarz»), Polen 2018, Regie: Malgorzata Szumowska, Darsteller: Mateusz Kosciukiewicz, Agnieszka Podsiadlik, Roman Gancarczyk, Verleih: Xenix Film, http://www.xenixfilm.ch; http://www.xenixfilm.ch/de/film_info.php?ID=11964

Kinostart: 24. Januar 2019