Je verrai toujours vos visages

Seit 2014 existiert in Frankreich die Restaurative Justiz, die es Opfern und Täter*innen ermöglicht, in einem sicheren Rahmen miteinander zu sprechen. Dabei geht es darum, die jeweils andere Seite anzuhören und deren Geschichten und Befindlichkeiten zu verstehen. So kann es gelingen, Ängste zu überwinden, resilient zu werden und die eigenen Handlungen und Motive zu überdenken.

In zwei parallelen Erzählsträngen zeigt der Film die Möglichkeiten und Herausforderungen der restaurativen Justiz auf. Wir nehmen einerseits Teil an Gruppensitzungen, wo drei Straftäter auf drei Menschen treffen, die in unterschiedlichen Kontexten überfallen und ausgeraubt worden sind. Nach und nach öffnen sich die Beteiligten und es werden tiefgehende Auseinandersetzungen mit dem Vorgefallenen und den Folgen möglich.

Andererseits fokussiert der zweite Erzählstrang auf Chloé, die über die Anwältin Judith einen Austausch mit ihrem Vergewaltiger anstrebt. Seit sie weiss, dass er wieder in ihrer Nähe wohnt, möchte sie Regeln fixieren, die verhindern, dass sie ihm zufällig über den Weg läuft. Das Problem: der Vergewaltiger ist ihr Bruder…

Jeanne Herrys Blick auf die Restaurative Justiz ist ein sehr differenzierter. Sie lässt den Protagonistinnen und Protagonisten viel Zeit, um ihre hochemotionalen Geschichten zu erzählen und sich dadurch auch aus einer ungewollten Opferrolle zu emanzipieren. Ein humanistisches Werk, das an die Versöhnung glaubt, ohne dabei illusorisch zu sein.

Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp

«Je verrai toujours vos visages» Frankreich 2023; Regie: Jeanne Herry; ProtagonistInnen: Lëila Bekhti, Gilles Lellouche, Miou-Miou; Verleih: Frenetic Films; Filmseite: https://www.frenetic.ch/katalog/detail//++/id/1250

Ab 5. Oktober 2023 im Kino