Flee

Im animierten Dokumentarfilm des dänisch-französischen Filmemachers Jonas Poher Rasmussen bricht der 36-jährige schwule Amin zum ersten Mal sein Schweigen. Er ist ein afghanischer Flüchtling, der jetzt mit seinem Freund in Dänemark lebt. Seine Kindheit in den 80er-Jahren verbrachte er in seiner kriegsgebeutelten Heimat, bis ihm schliesslich allein die Flucht nach Russland gelang. Hier wie dort machte er traumatische Erfahrungen.

Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Rasmussen führte dazu eine lange Reihe intimer Interviews mit dem im Film pseudonymisierten «Amin Nawabi», den er seit der Mittelschule kannte. Bis dahin hatte «Amin» nie über seine Vergangenheit gesprochen. Seine Erinnerungen sind lebendig und voller Details, die sich wunderbar auf die Leinwand übertragen lassen: das Drachensteigenlassen über den Dächern von Kabul, das sehnsuchtsvolle Betrachten von Postern mit Jean-Claude Van Damme; der stoische Mut seines Vaters gegen die Mudschaheddin.

Diese Szenen sind in schnörkellosen 2D-Animationen dargestellt, deren Klarheit einer eher abstrakten Darstellung weicht, wenn Amin sich an die Schrecken erinnert, die er und seine Familie in Afghanistan erlebten. «Flee» ist eine erschütternde Geschichte über Verlust, Schuldgefühle und das ständige Leben in Angst. Aber auch über Widerstandskraft und Befreiung, denn ohne die kunstvolle Form der Animation, die ihm Anonymität bietet, hätte sich der Protagonist vielleicht nie mit seinen Gespenstern konfrontiert.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

«Flee», Dänemark und weitere 2021, Regie: Jonas Poher Rasmussen, Besetzung: Rashid Aitouganov, Verleih: Filmcoopi, http://www.filmcoopi.ch

Kinostart: 21. Juli 2022