Anatomie d’une chute

Die Musik dröhnt laut vom Dachboden und schallt durch das ganze Haus. Unten versucht die erfolgreiche Autorin Sandra einer Studentin zu erklären, wie die Realität ihre Romane beeinflusst. Doch der Krach verschluckt jedes Wort – das Interview muss abgebrochen werden.

Warum Sandras Mann Samuel, den wir nicht sehen, die Szenerie stört, bleibt unklar. Vielleicht aus Bitterkeit darüber, dass er selbst – ebenfalls Schriftsteller – nie ein Buch veröffentlichen konnte. Eine Stunde später findet ihn sein blinder Sohn Daniel draussen tot im Schnee. Offenbar stürzte er aus dem obersten Stock des Bergchalets in den französischen Alpen – oder war es doch kein Unfall?

Der Film von Justine Triet ist vordergründig eine Kriminalgeschichte, die nach einem Opfer und einem Täter sucht. Doch diese Grenzen verschwimmen nach und nach, denn die Wahrnehmung ist stets individuell. Der Titel des Films spielt auf den buchstäblichen Sturz von Samuel an, der durch die Forensik untersucht wird. Aber auch auf den bildlichen Sturz von Sandra, deren Leben nach dem Verlust aus den Fugen gerät.

Der folgende Prozess ist für sie ein Akt der Demütigung. Ihr Charakter, ihre Arbeit und ihre Ehe werden in Frage gestellt, um daraus mögliche Mordmotive herzuleiten. Sandra Hüller ist bemerkenswert in ihrer Rolle als ambivalente Frau, die zwischen Arroganz und Verletzlichkeit schwankt. Letztendlich ist sie genauso wenig fassbar wie der Tod, das Leben und die Wahrheit, die irgendwo dazwischen liegt.

Sarah Stutte

«Anatomie d’une chute», Frankreich 2023, Regie: Justine Triet, Besetzung: Sandra Hüller, Swann Arlaud, Milo Machado Graner, Verleih: Filmcoopi, https://www.filmcoopi.ch/movie/anatomie-d-une-chute http://www.filmcoopi.ch, Filmwebseite: https://www.frenetic.ch/katalog/detail//++/id/1254

Kinostart: 9. November 2023