Zürcher Tagebuch

Stefan Haupts Grossmutter ist längst tot. In seinem filmischen Tagebuch hat sie nochmals einen Auftritt. Orientierungslos rollt die demente Frau in ihrem Stuhl zur Tür und wieder zurück und wieder zur Tür. «Was soll ich sagen?», fragt sie. «Wohin soll ich gehen?» Die hochbetagte Frau stellt genau die Fragen, die ihr Enkel in diesem filmischen Essay zum Ausdruck bringt. Wohin soll man gehen? Was soll man tun? Und was soll man zu alldem sagen?

Flüchtlingsdrama, Finanzkrise, Klimaerwärmung, Corona-Virus, gleichzeitig die Geburt eines Kindes, laue Sommerabende mit Freunden, ein Flug auf dem Karussell. Alles mit- und nebeneinander. Aus dem Off hören wir Passagen aus Haupts Tagebuch. Dessen Fragen wiegen schwer. Sind dies die Fragen eines alternden, weissen, heteronormativen Mannes, der sich die Welt zu erklären versucht?, wie der älteste Sohn skeptisch kommentiert?

Vielleicht sind sie das. Aber der alternde weisse Mann hat sich glücklicherweise aufgemacht und seine Mitmenschen nach Antworten gefragt. Den Kunstmaler, den Flüchtling, den Historiker, die Politikerin und nicht zuletzt seine Kinder. Haupt bekommt keine abschliessenden Antworten aber Gesellschaft als Fragenden und das hat etwas Tröstendes. Und Trost sucht der Regisseur, das ist ihm nach einem nächtlichen Traum bewusst geworden.

Eva Meienberg, Redaktorin Medientipp

«Zürcher Tagebuch», Schweiz 2020, Regie: Stefan Haupt, Besetzung Lina Engler-Suter, Alexis Haupt, Barbara Weber: Verleih: Xenix Filmdistribution GmbH, Internet: http://www.xenixfilm.ch/de/film_info.php?ID=12002, Filmwebsite: https://www.zuerchertagebuch-film.ch/

Kinostart: 05. November 2020