The Invisible Life of Eurídice Gusmão

In einer surrealen Anfangsszene verliert die junge Eurídice ihre ältere Schwester Guida in einem dichten Waldstück aus den Augen. Dieses Schicksal holt sie später in der Realität ein und prägt ihr ganzes Leben. Die gemeinsame Geschichte der Schwestern endet 1951 in Rio, als Guida eines Nachts mit einem griechischen Matrosen durchbrennt. Eurídice, die von einer Klavier-Ausbildung am Wiener Konservatorium träumt, bleibt allein zurück. Sie heiratet, weil sie muss, bekommt Kinder, die sie nicht bekommen will und begräbt ihren Traum von der Musik. Guida kehrt schwanger und ohne Mann nach Rio zurück, wo sie der Vater verstösst und ihr in seiner Enttäuschung erzählt, Eurídice sei nun in Österreich. Guida richtet sich in Rio ein, ohne zu wissen, dass ihr Schwester ganz in der Nähe lebt. Die Jahre vergehen – und viele Briefe erreichen nie ihre Empfängerin.

Das fein nuancierte Drama von Karim Aïnouz gewann dieses Jahr in Cannes den Hauptreis der Sektion «Un Certain Regard». Melancholisch wie ein Fado-Stück erzählt der Film von zwei Menschen, die einander umkreisen, deren Wege sich jedoch niemals kreuzen. Die tragischen Folgen einer im Zorn gemachten Aussage oder der Bewahrung der eigenen Interessen, erschüttern dabei bis zur letzten Minute. Genauso wie die unbequeme Wahrheit dahinter – die pointierte Sozialkritik an einem Rollenbild, das Generationen von Frauen unterdrückte und die Gesellschaft, in der sie leben, vergiftet hat.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

«The Invisible Life of Eurídice Gusmão», Brasilien/Deutschland 2019, Regie: Karim Aïnouz, Besetzung: Carol Duarte, Júlia Stockler, Fernanda Montenegro, Verleih: Trigon Film, http://www.trigon-film.org; Filmseite: https://www.trigon-film.org/de/movies/The_Invisible_Life

Kinostart: 19. Dezember 2019