Ray & Liz

Der bärtige Mann, vergewissert sich, dass der alte Mann unter der Bettdecke noch atmet und reiht dann ordentlich drei grosse Plastikflaschen auf einen schäbigen Frisiertisch. Bevor er das Zimmer verlässt, wirft er den Flyer einer Freikirche aus dem Fenster. Auf dem Flyer wird Kolosser 3, 20 zitiert «Ihr Kinder, seid gehorsam den Eltern in allen Dingen; denn das ist wohlgefällig in dem Herrn». Der schlafende Mann ist Ray. Rays Kinder haben nicht gehorcht, auch deshalb, weil eine Flasche für Ray eben nie genug war. Auch seine Ehefrau Liz kümmerte sich nicht um die beiden Söhne, sass apathisch rauchend da und machte Puzzles. Da konnte es schon passieren, dass der etwa siebenjährige Sohn draussen übernachtete, oder der Dobermann auf die Post pinkelte.

Willkommen im «Black Country», dem Gebiet in den englischen West Midlands, wo die Schwer- und Kohleindustrie einst boomte, aber in den 80ern die Schliessung der Minen und Fabriken zu grosser Arbeitslosigkeit führten. Der preisgekrönte Fotograf Richard Billingham hat in diesem Film Bilder aus seiner eigenen Vergangenheit zu einer eindrücklichen Sozialstudie zusammengefügt, die niemanden verurteilt, sondern lediglich die Konsequenzen einer bestimmten Politik aufzeigt. Der Tradition des British Realism verpflichtet und doch ganz anders fängt er mit präzisen Bildern das Elend ein. Das tut weh, vor allem dann, wenn der ältere Sohn – Richard also – den Sozialarbeiter anfleht, wie sein kleiner Bruder bei einer Pflegefamilie untergebracht zu werden.

Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp

«Ray & Liz», Grossbritannien 2018, Regie: Richard Billingham, Besetzung: Ella Smith, Justin Sallinger, Patrick Romer; Verleih: Xenix Films, http://xenixfilm.ch/de/; http://www.xenixfilm.ch/de/film_info.php?ID=11970

Kinostart: 09. Mai 2019