Ask Dr. Ruth

In den Staaten ist die Sexualtherapeutin Dr. Ruth Westheimer eine Kultfigur. Im prüden Amerika der 80er-Jahre wurde die kleine Frau (140 cm) ganz gross, als sie ungezwungen und mit einem unverkennbaren deutschen Akzent in einer New Yorker Radiostation über guten Sex, Orgasmen und Aids aufklärte. Bald war Dr. Ruth regelmässig in Talk- und TV-Shows zu sehen, bekam ihre eigene Sendung und schrieb Bücher. Ihre mittlerweile 91 Jahre merkt man dieser lebhaften Frau in keiner Minute an.

Der Dokumentarfilm von Ryan White zeigt jedoch auch Ruth’s schmerzhafte Vergangenheit. Als Karola Ruth Siegel in Frankfurt geboren, überlebte sie als einzige in ihrer Familie den Holocaust. In filigran animierten Rückblenden wird gezeigt, wie ihr als Zehnjährige ein Kindertransport die Flucht in die Schweiz ermöglichte. In einem Kinderheim im appenzellischen Heiden hält sie weiterhin brieflich Kontakt zu ihren Eltern, bis dieser eines Tages abbricht. Erst Jahrzehnte später erfährt sie, was aus ihrer Familie wurde. Allein zu sein, sagt sie später, hat ihr Interesse an Familie und Sexualität geweckt. Denn im Hebräischen bedeute Sex auch, jemanden zu kennen und mit ihm zu reden.

Ryan White ist ein liebevolles Portrait gelungen, das die Balance zwischen witzigen und bedrückenden Momenten gekonnt hält und uns eine starke Frau zeigt, der viel genommen wurde, die aber auch viel zurückgegeben hat und die nicht müde wird, in dieser Welt etwas bewirken zu wollen.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

«Ask Dr. Ruth», USA 2019, Regie: Ryan White, Verleih: Filmcoopi, http://www.filmcoopi.ch, Film-Homepage: https://www.askdrruthfilm.com/

Kinostart: 17. Oktober 2019