Grozny Blues

Wie eine Hollywoodkulisse mutet die mit russischen Geldern neu aufgebaute Hauptstadt Tschetscheniens an. Dahinter aber versuchen kriegsversehrte Menschen ihre Traumata zu verarbeiten. Das, was jede tschetschenische Familie kennt – Tod und Entführungen – darf es nicht geben. Darüber muss man schweigen. Die anhaltende Repression, eine beschleunigte Islamisierung, einengende Traditionen, Perspektivlosigkeit und die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit prägen das tägliche Leben. Normalität ist hier bloss eine Fassade, vor welcher der Präsident Ramsan Kadyrow archaisch-islamische Männlichkeitsbilder pflegt und zugleich nach der Pfeife Moskaus tanzt.

«Grozny Blues» zeigt durch die Arbeit von drei Frauenrechtlerinnen und einem Clubbesitzer, ergänzt mit Archivmaterial, kaleidoskopisch, was es bedeutet, in einer gespaltenen Gesellschaft zu leben, die zwischen Krieg und Frieden, Repression und Freiheit, Moderne und archaischen Sitten feststeckt. Kommentare, Einblendungen und Figuren wechseln rasch und lassen manchmal den Zuschauer mitten in den wirren Gefühlen der Kriegsruinen und den erschütternden Berichten der Zeugen stehen. Durch die starken Frauenbilder bleibt der Film aber nicht nur im Elend stecken, sondern zeigt auch jene, die sich Würde und Menschlichkeit bewahrt haben. Informationen vor dem Filmbesuch über die Geschichte Tschetscheniens können das Verständnis für den poetischen Film vertiefen.

Ingrid Glatz-Anderegg, Co-Präsidentin Interfilm Schweiz und Pfarrerin in Aarwangen*

«Grozny Blues», Schweiz 2015, Regie: Nicola Belluci, Dokumentarfilm: u.a. mit der Menschenrechtlerin Zainap Gaschajewa; Verleih: cinework gmbh, Internet: http://www.cineworx.ch

Kinostart: 24. März 16

 

* Ingrid Glatz-Anderegg ist Mitglied im reformierten Arbeitskreis Kirche und Film. In loser Folge schreiben Pfarrpersonen und kirchliche Mitarbeitende aus dem Arbeitskreis Filmtipps.